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Kampf um das Wort

Kampf um das Wort

Alexandra Cosima Budabin arbeitet an der Uni Bozen. Sie hat eine Studie veröffentlicht, bei der sie Kampagnen beobachtete, die ab 2015 für Solidarität mit Migrant*innen und Geflüchteten warben und die damit verbundenen Dynamiken auf dem Kurznachrichtendienst Twitter untersuchte. Mit zebra. spricht sie über Begriffe wie "hijacking" und erklärt, dass die Sozialen Medien eine große Rolle bei der Realisierung von Menschenrechten spielen.

Text: Adrian Luncke

Foto: Majda Brecelj

Ein Artikel der Straßenzeitung zebra. vom Februar 2022.


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Alexandra Cosima Budabin erforscht etwas, das an amerikanische Actionfilme denken lässt. Doch was sich nach Fiktion anhört, ist längst in unseren Alltag eingezogen. Die Vertragsprofessorin der Uni Bozen erklärt, wie Menschen in den Sozialen Medien durch Strategien wie „hijacking“ und „soft-repression“ eingeschüchtert werden.

Was sind Hashtags und wie werden sie genutzt?

Alexandra Cosima Budabin: Hashtags stellen eine Möglichkeit dar, Äußerungen im Internet gemeinschaftlich zu organisieren. Dazu versehen Menschen ihre Aussagen mit dem Rautezeichen # und einem Schlagwort. So ist unter Hashtags Vieles von dem zusammengefasst und in gewisser Weise angeordnet, was Menschen auf der ganzen Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt über ein bestimmtes Thema denken. Dabei schreiben natürlich alle aus ihrer eigenen Perspektive und folgen verschiedenen gedanklichen Strömungen. Auf ihre Aussagen kann man auch reagieren. So kommt es zu einer globalen Konversation. Ohne Hashtags bleiben Aussagen in einem engeren Kreis.

 

Sie haben sich mit einigen Hashtags genauer beschäftigt und dazu vor Kurzem eine Studie veröffentlicht. Worum geht es darin?

Lassen Sie mich zwei Schritte zurück machen: Ich arbeite zu Menschenrechten und untersuche, wie wir im Alltag zu ihrer Realisierung beitragen können. Das tun wir zum Beispiel, indem wir bestimmte Kaufentscheidungen treffen, bestimmten Berühmtheiten folgen oder auch indem wir soziale Bewegungen unterstützen. Dabei spielen die Sozialen Medien eine wichtige Rolle. Denn hier können sich Menschen zusammenschließen. Ich habe in den vergangenen Jahren verschiedene online- Kampagnen verfolgt und gesehen, dass sie auch Kritik erfahren. Manchmal kommt es zu Gegenkampagnen, manchmal auch gerechtfertigt. Ausgehend von unserem Interesse an Flüchtlingskampagnen, haben meine Kollegin Nina Hall (John Hopkins School of Advanced International Studies) und ich diese Dynamiken auf dem Kurznachrichtendienst Twitter untersucht.

 

Welche Kampagnen haben Sie dafür ausgesucht?

Wir haben Kampagnen beobachtet, die ab 2015 für Solidarität mit Migrant*innen und Geflüchteten warben. Sie wurden von den Vereinten Nationen und auch von Staaten wie den USA oder Kanada entwickelt und von ihnen mit Hashtags wie #Welcome Refugees, #RefugeesWelcome oder #With- Refugees versehen.

 

Sie schreiben in Ihrer Studie, dass diese Hashtags daraufhin missbraucht wurden.

Mit manchen Hashtags lässt sich spielen und eine positive Botschaft kann in eine negative verkehrt werden, oder umgekehrt. So wurde aus #refugeeswelcome zum Beispiel #refugeesnotwelcome. Diese feindliche Übernahme von Hashtags bezeichnet man auf Englisch als “hijacking”.

 

Auf Twitter werden täglich 500 Millionen Posts veröffentlicht. Auf Twitter werden täglich 500 Millionen Posts veröffentlicht.

Die Anhänger*innen der Solidaritätsbewegungen gehörten Ihren Erkenntnissen nach der gesellschaftlichen Mehrheit an – ihre Gegner*innen ließen sich einer sehr viel kleineren Gruppe, teils mit Verbindungen zur extremen Rechten, zuordnen. Welche Kraft hat sie?

Der Hashtag #norefugees wurde immerhin 350.000 Mal genutzt. Das ist nicht wenig. Die Autor*innen lehnen den Multikulturalismus, eine gemeinsame Übernahme von Verantwortung und universelle Menschenrechte ab. Es geht ihnen darum, jene Ideologie ins Wanken zu bringen, die hinter den Solidaritätskampagnen steht. Außerdem wird der Hashtag von den Medien aufgegriffen und über Twitter hinaus verbreitet.

Wir haben die Hijacking-Strategie und einige der Inhalte mit rechtsextremen Bewegungen und Diskursen in Verbindung gebracht. Das zeigt, wie antisolidarische Stimmungen eine größere rechtsextreme Medienstrategie befeuern.

 

Dafür reicht ein bösartiger Hashtag nicht aus, oder?

Nein, und deshalb ist es wichtig, die Botschaften und Codes zu untersuchen, die von Tweets mit diesen Hashtags transportiert werden. Ich habe 900 von diesen Tweets ausgewertet und es war schrecklich. Die Nachrichten waren voll verbaler Gewalt. Ich bin keine Expertin für Hassrede, habe aber festgestellt, dass die Aussagen der Solidaritätsgegner*innen oft mit Verschwörungstheorien, antisemitischen und frauenfeindlichen Ideologien einhergehen. Oft wurden auch Verbindungen zu rechten Gruppierungen und zur Nazi-vergangenheit hergestellt. Es war erschreckend zu sehen, dass solche Aussagen im digitalen Raum frei kursieren und sich Menschen auf der ganzen Welt diesen Diskursen anschließen.

 

Weiß man, wer hinter diesen Tweets steckt - vielleicht sogar eine Gruppe, die strategisch agiert?

Dazu gibt es Studien, die sich näher mit der Urheberschaft, dem Standort und anderen Identifikationsmerkmalen befassen. Sie führen solche Tweets auf rechte Extremist*innen und entsprechende Parteien zurück. Wir haben das nicht weiter untersucht. Uns ging es um die Kommunikationsstrategien hinter den instrumentalisierten Hashtags.

 

Diese Strategien fallen für Sie in den Bereich der “soft repression”. Was heißt das?

Wir greifen hier auf die Thesen der Soziologin Myra Marx Ferree zurück. Sie spricht von „soft repression“, also sanfter Unterdrückung, und fasst darunter drei Strategien zusammen, um ein soziales Argument zu bekämpfen: seine Vertreter*innen lächerlich machen, sie stigmatisieren und sie zum Schweigen bringen. So heißt es in den Tweets zum Beispiel: „#Refugees welcome? Wer das unterstützt, ist ein Idiot!” oder auch einfach nur „Shut the fuck up!”

 

Gehen diese Strategien auf?

Leider ja. Denn mit ihnen werden Menschen durch Cybermobbing eingeschüchtert. Manche erhalten sogar Morddrohungen. Wir verlieren auf diese Weise ihre Stimmen im öffentlichen Diskurs. Deshalb haben wir unsere Studie auch mit “Shrinking digital spaces” überschrieben. Damit wollen wir aussagen, dass bestimmte Positionen gezielt aus den digitalen Räumen verdrängt werden.

 

Ist das ein spezifisches Problem der Sozialen Medien?

Nein, aber so wie die Sozialen Medien Möglichkeiten zur Förderung des Dialogs bieten, gibt es auch Elemente dieser Plattformen, die zu einer toxischen Atmosphäre beitragen. In den Sozialen Medien können Menschen ganz anonym angegriffen werden. Gleichzeitig sind die Botschaften sehr direkt und sie stehen im öffentlichen Raum. Alle können sie lesen.

 

"Bestimmte Positionen werden gezielt verdrängt."

Solidaritätskampagnen bergen also zwei Risiken: Einerseits können ihre Botschaften ins Gegenteil verkehrt werden, andererseits machen sich ihre Unterstützer*innen angreifbar. Was tun?

Unsere Daten zeigen, dass die Unterstützungswelle der Solidaritätskampagne überwältigend war. Es lohnt sich daher, weiterhin positive Botschaften von Akzeptanz und Toleranz zu unterstützen. Dennoch ist wichtig zu verstehen, dass der Gebrauch von Sozialen Medien auch Risiken mit sich bringt. Diese sollten von jenen, die Solidaritätskampagnen entwickeln, von vornherein mitgedacht werden. Oft gehen Kampagnen aber recht einseitig von eben nur einem Standpunkt aus. Das führt dann schnell dazu, dass sich Fronten ausbilden.

 

Kampagnen sollten also auch ihre potenziellen Gegner*innen mitnehmen?

Im Vorfeld sollten Initiator*innen an mögliche Kritik denken und sich fragen, woher sie kommen könnte: von Institutionen, sozialen Bewegungen, aus der Politik oder der Bevölkerung. Worauf könnte sich solche Kritik zurückführen lassen? Vielleicht geht es darum, dass Menschen Angst haben – davor, ihre Arbeit zu verlieren, um die Sicherheit ihrer Familie und so weiter. Auch wenn diese Ängste oft unbegründet sind, sind sie real und machen etwas mit den Leuten. Menschen wollen in ihrem Denken ernst genommen und mit ihren Sorgen verstanden werden. Es reicht nicht, eine Kampagne zu starten und einfach laufen zu lassen, selbst wenn Gegenstimmen laut werden. Kampagnen müssen fortlaufend begleitet werden.

Budabin lehrt an der Uni Bozen. Budabin lehrt an der Uni Bozen.

Was können Unterstützer*innen tun?

Ich würde da unterscheiden: Aktivist*innen übernehmen oft bewusst die Verantwortung für bestimmte Diskurse im Internet. Sie verfügen über die Mittel, das Wissen und auch den Mut, um die Inhalte einer Kampagne zu verteidigen. Was andere Personen betrifft, muss jede*r für sich selbst entscheiden, ob er*sie diese Arbeit leisten kann und möchte.

 

Vielleicht können Menschen darin unterstützt werden?

Menschen, die über das entsprechende Bewusstsein verfügen, lassen sich das Wort nicht unbedingt verbieten. Wenn sie dann in umstrittene Diskurse einsteigen, können sie auf ein globales Netzwerk verweisen, die Vereinten Nationen oder auch Amnesty zitieren, das verleiht den Äußerungen auch Kraft. Wir sollten Menschen und Kampagnen unterstützen, die zur Zielscheibe von Hassreden werden. Und es gibt auch Bewegungen, die Social-Media-Plattformen für dieses toxische Umfeld zur Verantwortung ziehen.

 

Sollten Unterstützer*innen also möglichst rational auf Einwände reagieren?

Es hat sich gezeigt, dass sich gerade in den Sozialen Medien die Gesprächsebenen vermischen.  Mit reinen Informationen, dem Verweis auf Gesetze, Grundrechte oder wichtige Persönlichkeiten lässt sich aufgrund der Emotionen, die manche Themen hervorrufen, nicht immer etwas bewirken. Das macht die Auseinandersetzung sehr komplex.

 

Das hört sich recht ausweglos an.

Es war noch nie einfach, sich gegen Ungerechtigkeit auszusprechen. Nicht jeder ist von der universellen Gültigkeit der Menschenrechte überzeugt. Es wäre ein Anfang, wenn wir - statt uns in Pro und Kontra oder Gut und Böse aufzuteilen - ein respektvolles Gespräch miteinander führen könnten.

Dazu haben wir folgende Angebote

Auch so geht Medien

Interaktiver Workshop für MS, OS, BS

Orientierung im Mediendschungel

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Flucht – rein oder raus?

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Kein leichtes Spiel mit dem Leben von Asylbewerber*innen

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