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B wie Body-Shaming

B wie Body-Shaming

Rachele Sordi von der Bozner Sozialgenossenschaft Officine Vispa setzt sich für eine Geschlechterkultur ein, die Diskriminierungen, Unterdrückung und Gewalt entgegensteht. Gemeinsam mit Verbündeten hat sie das Projekt „Liscià – donne che raccontano donne“ gegründet. Während der Pandemie traten die Frauen in den öffentlichen Raum – mit Wörtern, die zum Nachdenken anregen und so Gesellschaft verändern sollen. Eines davon war „Body-Shaming“. zebra. wollte wissen, was es damit auf sich hat.

Text: Alessio Giordano e Adrian Luncke
Fotos: Anna Mayr

Ein Artikel der Straßenzeitung zebra. vom September 2021


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In Bozen stieß man Anfang des Jahres immer wieder auf eure Plakate. Darauf das Wort „Body-Shaming“ und darunter die Zeichnung eines weiblichen Körpers. Worauf zielte die Aktion ab?

Rachele Sordi: Der 7. Februar ist der Welttag gegen Cybermobbing – da geht es um Gewalt im Netz. Den wollten wir bespielen. Material dazu lieferte uns eine Studie des Vereins „nutrimente“. Die Inhalte sind erschreckend: Jede zweite Frau wird in den Social Media in Hinblick auf ihr Äußeres angegriffen. Das geht von Pfeilen, die auf Körperteile zeigen, bis zu knallharten Beleidigungen.


Body-Shaming heißt also nicht sich selbst schämen, sondern andere beschämen?

Genau. Body-Shaming ist, wenn Personen in Hinblick auf ihr Aussehen beleidigt oder gemobbt werden. Wir haben es also mit Gewalt und Diskriminierung zu tun. Und dahinter steht immer ein*e Täter*in.

Auf einem Plakat ist eine eher korpulentere Frau zu sehen. Geht es um Übergewicht?

Nicht nur. Neben Menschen, die angeblich zu dick sind, werden auch solche attackiert, die als zu dünn gelten. Auf Englisch heißt das dann „Fat-Shaming“ und „Skinny-Shaming“. Es gibt noch jede Menge weiterer Begriffe.

 

Die Attacken setzen also immer bei etwas an, das von einem Standard abweicht?

Ja, genau. Immer ist etwas zu groß, zu klein, zu… Es scheint da imaginäre Standards zu geben, eben das ideale Bild eines*r Teenagers*in, das einer Frau oder auch das eines Mannes… und an diesen Standards werden Menschen gemessen.

 

Wie sieht die Standard-Frau denn aus?

Es wäre interessant das herauszufinden. Vermutlich variieren diese Standards auch von Ort zu Ort und zwischen Altersgruppen. Wichtiger noch erscheint mir die Frage, woher diese Bilder kommen. Bisher ging man davon aus, dass die Medien und die Modebranche bei ihrer Schaffung eine große Rolle spielen. Vermutlich ist das auch immer noch so. Gleichzeitig haben wir heute sehr viel mehr Informationen als früher und auch Zugang zu jeder Menge Bildmaterial. So ließen sich im Prinzip ganz unterschiedliche Identifikationsfiguren finden, die von den Standards abweichen, übrigens auch in Hinblick auf ganz unterschiedliche Merkmale – Größe, Gewicht, Hautfarbe, Geschlechtsidentität, Fähigkeiten, Alter und so weiter.

 

Das Internet befreit uns also irgendwie von Körperstandards?

Ganz so einfach ist es dann leider doch nicht. Denn das Internet ist in Wirklichkeit nicht so frei, wie wir oft meinen. Gerade die Social Media Plattformen arbeiten mit Filtern. Sie zensieren Inhalte.

 

Wie kann man sich diese Zensur vorstellen?

Ja, sie blenden Inhalte aus oder löschen sie. Die Südtirolerin Corinna Canali forscht gerade zu diesem Thema. Dabei testet sie, wie die Plattformen mit Bildern umgehen, die Männer und Frauen zeigen, die eben nicht dem Standard entsprechen. Dasselbe macht sie für Nacktheit. Dabei stellt sie fest, dass Menschen, die im realen Leben nicht dem Standard entsprechen, im Internet weniger sichtbar sind als die Vorzeige-Typen. Zum Beispiel bringen Bilder von nackten Berühmtheiten den Plattformen viel Geld ein. Deshalb werden sie auch nicht entfernt. Generell gilt: Bilder von nackten Menschen im Internet entsprechen meist der vorherrschenden weißen, heterosexuellen Norm.

 

Ist da etwas außer Kontrolle geraten?

Ich würde eher sagen, das Internet setzt das fort, was in den Köpfen bereits vorherrscht. Denn natürlich müssen die Algorithmen hinter diesen Filtern von jemandem programmiert werden. Was diese Personen für angemessen halten, wird dann durch das Internet der ganzen Welt übergestülpt. Wir haben es also mit gewaltigen Machtmechanismen zu tun, die unser Denken prägen.

 

Die Standards werden also auch von Einzelnen festgelegt. Auf wen werden sie letztlich übertragen?

„nutrimente“ stellt fest, dass junge Frauen im Alter zwischen 18 und 21 am meisten unter den Abwertungen ihres Körpers leiden. Ähnlich geht es Frauen bis zum 32. Lebensjahr. Aber auch an etwa 11 Prozent der Männer geht Kritik an ihrem Äußeren nicht spurlos vorbei.

Erst wenn man etwas benennen kann, kann man sich auch dagegen wehren. Erst wenn man etwas benennen kann, kann man sich auch dagegen wehren.

Warum kommt es zu diesen Abwertungen?

Meist geht es darum, das Gegenüber klein zu halten indem man ihm einbläut, es sei minderwertig. Es ist dabei kein Wunder, dass es vor allem Frauen trifft. Denn die Gesellschaft, in der wir leben, ist männlich dominiert. Behaupten sich jetzt immer mehr Frauen darin, scheint das einigen nicht zu passen. Denn jemand irgendwo in unserem kapitalistischen System an Macht gewinnt, muss ein anderer etwas Macht abgeben. Das schafft Konkurrenz, die übrigens bis zu den Eliten reicht – denken wir nur einmal an Berlusconis Kommentare zu Angela Merkels Figur.

 

Was sind die Auswirkungen?

Die sind ganz verschieden. Oft ist es ein geringeres Selbstbewusstsein und sogar Angst davor, sich zu zeigen. Das ist vor allem im Sommer der Fall, wenn die Kleidung für gewöhnlich freizügiger wird. Ein Ausflug zum Strand kann da zur Qual werden oder auch zum Versteckspiel: Irgendein Grund muss her, um nur nicht die Hüllen fallen zu lassen – der Körper bleibt in Kleidung verborgen oder Strand und Freibad werden gänzlich gemieden. Ungesund wird es, wenn Body-Shaming zu falscher Ernährung oder Essstörungen führt, weil ein Opfer versucht, sich den auferlegten Körperstandards anzugleichen.

 

Spätestens hier sollten auch im Freundeskreis und der Familie die Alarmglocken läuten. 
Ja! Und natürlich können sich Betroffene auch wehren und für sich selbst sprechen. Sie können etwa sagen, dass sie sich – so wie sie sind – total wohl fühlen. Oder aber sie suchen sich Vorbilder, die ihnen mehr entsprechen. Kommt es dann zum Schlagabtausch, können sie sagen: Schau her, auch diese coole Influencerin trägt XXL! Mit Selbstbewusstsein und Widerstandskraft lässt sich ein Angriff vielleicht abwehren.

Das ist leichter gesagt, als getan…

Absolut. Denn wer sich wehrt, läuft nicht selten Gefahr, Opfer eines Folgeangriffs zu werden. Aus diesem Teufelskreis kommen manche Menschen nicht allein heraus. Sie brauchen Hilfsangebote, die sie stärken und die dazu führen, dass sich Dynamiken ändern. Das heißt vor allem, dass sich in dem Kontext etwas ändern muss, in dem es zu Body-Shaming gekommen ist: Hier müssen Opfer kollektiv geschützt und Täter*innen sozial zur Rechenschaft gezogen werden. Und dann gibt es noch das Gesetz: Das unterscheidet in Italien zwischen Minderjährigen und Erwachsenen. Seit 2017 schützt es Menschen unter 18 ganz gezielt vor Cyermobbing. Andere Gesetze und auch Grundsätze aus der Verfassung richten sich gegen Hassrede. Sie gehen mehr auf die Situation von Erwachsenen ein.

 

Manchmal hilft dann nur der juristische Weg?

Ja, aber der erfordert viel Mut. Deshalb braucht es da noch einen Zwischenschritt: eine gute Begleitung von Betroffenen. Die fühlen sich oft sehr allein gelassen. Cathy La Torre, Anwältin und Aktivistin in Bologna, hat zum Beispiel eine tolle Kampagne gestartet: Odiare ti costa (Hassen ist teuer). Schon der Titel macht klar, dass man Hass nicht einfach so verbreiten kann.

 

Teuer? Ist da von Geld die Rede?

Aggressionen zu verbreiten, kostet – das heißt, Täter*innen müssen wirklich auch finanziell mit Geldstrafen rechnen. Und wenn es an das Portemonnaie geht, denken Menschen zwei Mal nach, bevor sie sich zu Dummheiten hinreißen lassen. Auch können Opfer auf der Webseite der Kampagne „Odiare ti costa“ ganz konkret Angriffe im Netz melden.

 

Wie setzt sich euer Verein ein?

Wir arbeiten auf zwei Ebenen: Zuerst schaffen wir Bewusstsein. Mit den Plakaten haben wir versucht, möglichst vielen Menschen in Südtirol klar zu machen, dass es Body-Shaming gibt und dass es sich hierbei um ein Unrecht handelt. Denn erst wenn man Dinge benennen und bewerten kann, kann man sich auch gegen sie wehren. Hier sind wir wieder bei der Macht von Sprache. In einem zweiten Schritt weisen wir die Institutionen darauf hin, dass es ein Problem gibt und dass Handlungsbedarf besteht.

Geht die Kampagne jetzt weiter?

Es gibt noch einige Wörter, die wir stärker in die Öffentlichkeit bringen wollen. Diese gehen übrigens auf eine Umfrage zurück, die wir während der Pandemie gemacht haben. Sisterhood, also Solidarität zwischen Frauen, wurde da als wichtiges Thema genannt. Aber auch Freiheit und Selbstbestimmung sind den Menschen sehr wichtig. Manche der Wörter haben wir auf Stoff drucken lassen und in unserer Nähwerkstatt Corona-Masken daraus gemacht. Wir arbeiten also auch mit Filtern – die fischen aber nichts heraus, sondern tragen vielmehr Wörter in den öffentlichen Raum – so lange bis sie in Südtirol zum fixen Vokabular werden!

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