+39 0472 208 208   bildung@oew.org Leichte und Einfache Sprache Hoher Kontrast Links unterstrichen
Die vergessene Diskriminierung

Die vergessene Diskriminierung

Der sogenannte beauty bias ist auch bekannt als Attraktivitätsbias oder Schönheitsprivileg. Er beschreibt die Tendenz, attraktive Personen positiver zu beurteilen als sie eigentlich sind, sowohl in Hinblick auf ihre Fähigkeiten als auch auf ihren Charakter.

Ein zebra. Artikel von Februar 2025


2. Mittelschule 1. Mittelschule 3. Mittelschule 1. Ober-/Berufsschule 2. Ober-/Berufsschule 4. Ober-/Berufsschule 3. Ober-/Berufsschule 5. Ober-/Berufsschule

Die vergessene Diskriminierung

Sie verdienen weniger, bekommen höhere Strafen, werden seltener gewählt und als weniger intelligent und vertrauenswürdig eingeschätzt. Und doch: Kaum jemand spricht über sie und über die Nachteile, die ihren Lebensalltag prägen.

Das Gehirn ist unzuverlässig. Es verzerrt die Wahrnehmung, nimmt Abkürzungen, denkt irrational und zieht voreilige Schlüsse. Einer der zähesten Fehler unserer Denkmaschine ist dabei der sogenannte beauty bias, auch bekannt als Attraktivitätsbias oder Schönheitsprivileg. Er beschreibt die Tendenz, attraktive Personen positiver zu beurteilen als sie eigentlich sind, sowohl in Hinblick auf ihre Fähigkeiten als auch auf ihren Charakter. Sie werden als moralischer wahrgenommen, gelten als sozial umgänglicher, ihnen wird mehr Vertrauen und weniger Skepsis entgegengebracht, sie sind begehrter in der Dating-Welt und erfahren mehr Wohlwollen im Alltag. Dies gilt vor allem in Momenten der ersten Begegnung, wo dem Gehirn noch genauere Informationen über die Person fehlen und es deshalb anhand der ersten visuellen Eindrücke ein Gesamturteil zu fällen versucht. Ein kognitiver Kurzschluss also, der dazu führt, dass wir Mitmenschen nicht akkurat beurteilen. Das klingt sehr oberflächlich, doch die Wurzel des Problems liegt tiefer, als man denkt.

Der beauty bias ist eine intuitive Reaktion und betrifft daher jeden einzelnen Menschen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Ethnie und Kultur. Es gibt zwar persönliche Geschmäcker und jedes Zeitalter hat seine eigenen Schönheitsstandards, doch bestimmte Aspekte – wie etwa Gesichtssymmetrie oder Jugendlichkeit – gelten universell als attraktiv und führen dazu, dass schönere Menschen allerorts und jederzeit privilegiert werden. Sogar Kleinkinder, die noch keine persönlichen oder kulturellen Vorlieben haben, bevorzugen bereits attraktive Gesichter. Das zeigt:

©https://www.pexels.com/de-de/foto/pfau-und-pfau-2683940/

Der beauty bias ist keine Laune der Kultur, sondern fest in unseren Genen verankert

Jobsuche und Affenorakel Die Folgen sind weitreichend: Unattraktive Menschen werden in vielen Bereichen des Lebens diskriminiert, im privaten Umfeld sowie im gesellschaftlichen Zusammenleben, in der Wirtschaft und in der Politik. In seinem Buch „Beauty Pays“ zeigt der Ökonom Daniel Hamermesh, dass weniger schöne Menschen in der Arbeitswelt starke Benachteiligungen erfahren. Ihre Gehälter sind im Schnitt niedriger – Stichwort beauty © Chiara Cortellini pay gap – und ihre Chancen auf Anstellung sind trotz gleicher Kompetenzen kleiner. Gerade heute, wo weniger Menschen verborgen in Fabriken oder allein auf abgelegenen Feldern arbeiten und der Kontakt zur Kundschaft zentral wird, wächst auch die Bedeutung der Attraktivität in der Arbeitswelt. In einigen Ländern gab es sogar Fälle, wo Menschen wegen ihres Aussehens gekündigt wurden und deshalb vor Gericht geklagt haben – manchmal mit Erfolg, manchmal ohne. Einen rechtlichen Schutz vor solchen Kündigungen gibt es auch hier in Europa meist nicht, während andere Aspekte wie Alter, Religion oder Geschlecht strenger geregelt sind. Auch in der Politik zahlt es sich aus, schön zu sein. In einer kuriosen Studie aus den USA wurden Affen dazu gebracht, Fotos von Kandidat:innen für Senats- und Gouverneurswahlen zu betrachten. Dabei verbrachten die Tiere mehr Zeit damit, die politischen Verlierer anzustarren – und diese Blickpräferenz sagte nicht nur den Wahlausgang voraus, sondern sogar die jeweiligen Stimmanteile. Die Forschenden fanden heraus, dass die Attraktivität der Gesichter dabei eine entscheidende Rolle spielte. Doch ticken wir Menschen in dieser Hinsicht ähnlich?

Professor Sebas tian Jäckle von der Universität Freiburg untersuchte den Effekt von Attraktivität auf das Wahlverhalten bei deutschen Bundestagswahlen. Dafür verteilte er Fotos an Testpersonen, die bewerten sollten, welche von zwei politischen Figuren attraktiver, sympathischer und kompetenter erschien. Die Ergebnisse zeigten klar, dass die Attraktiveren bei der Wahl durchschnittlich 2,5 bis vier Prozentpunkte mehr Stimmen erhalten hatten – und zwar unabhängig von der politischen Einstellung der Testpersonen. Sympathie und wahrgenommene Kompetenz spielten hingegen keine oder nur eine geringere Rolle. In den USA fand Jäckle ähnliche Ergebnisse, allerdings war der Effekt der Attraktivität dort noch größer. Bei Spitzenpositionen sei die Wirkung aber schwächer, meint Jäckle. Über Scholz und Weidel wisse man schließlich mehr als über unbekannte Figuren und könne sich dadurch ein informierteres Bild machen – auch jenseits der (Un-)Attraktivität. Trotzdem spielt das Aussehen auch bei wichtigen Wahlen eine Rolle, wie der Wahlkampf zwischen John F. Kennedy und Richard Nixon im Jahre 1960 zeigte.

Der Republikaner Nixon kam damals beim Radiopublikum gut an, während der junge, charismatische und hübschere Kennedy in den Fernsehdebatten – die damals eine komplette Neuheit waren – punkten konnte. Das Medium bestimmt also auch, wie relevant das Erscheinungsbild bei einer Wahl ist. Und gerade in den heute dominanten sozialen Medien, wo Politikergesichter kurz, aber dafür tausendfach über den Bildschirm huschen, sind wir dem Attraktivitätsbias umso stärker ausgesetzt. Paradoxon der Hässlichkeit Wir leben in einer Ära der Schönheit, doch gleichzeitig ist Hässlichkeit unsichtbarer denn je. Das Schöne wurde zum ästhetischen Kapital. Es dominiert Werbung, Wirtschaft, Politik und Kultur: Unattraktive Menschen werden kaum repräsentiert und Ausnahmen wie der Film Gummo sind eben deshalb so auffällig, weil sie mit dem Schönheitsregime auf der Leinwand brechen. Das Internet ist da schon weiter.

Auf TikTok thematisieren etwa zahlreiche Videos unter dem Hashtag #prettyprivilege die Vorteile attraktiver Menschen. Vor allem junge Frauen scheinen sich mit dem Thema heute vermehrt auseinanderzusetzen. Doch ein politisches Bewusstsein für den beauty bias fehlt. Es gibt keinen „Aktivismus für Hässliche“, obwohl die Folgen des Vorurteils so viele betreffen. Das liegt wohl auch daran, dass sich niemand angesprochen fühlt und dass das H-Wort zum Tabu wurde: In der gängigen Moral soll niemand als hässlich bezeichnet werden und Unattraktivität wird damit zum verschwiegenen Merkmal. Doch wie die Zahlen zeigen, stehen Ideal und Realität hier im Widerspruch, denn die Ungleichheit bleibt bestehen und die Vorurteile halten sich hartnäckig. Anerkennung und Bewusstsein zu schaffen – wie es etwa bei Rassismus oder Sexismus bereits versucht wurde – wäre hier der erste Schritt.

Dazu haben wir folgende Angebote

Just like a girl/boy?

Interaktiver Workshop für MS, OS, BS

Ein Workshop zu einengenden Geschlechterrollen, Schönheitsidealen und Sexismus

Infos, Details & Preise

Verwandte Themen

Gender

Unterrichtseinheit für Oberschule

Zur Nachbereitung des Workshops „Just like a girl/boy? -Alle sollen etwas, doch was soll das überhaupt!?“

Liebe, Familie und Ich

Unterrichtseinheit für die Grundschule

Zur Einführung ins Thema Vielfalt in der Liebe
und in Genderidentität

Das alles ist Familie!

Unterrichtsmaterial für die Grundschule

Familien sind vielfältig. Dennoch herrscht in Schulbüchern, Medien und allgemeinen Diskursen das Modell der Mutter-Vater-Kind/er-Familie vor. Hier gibt es Unterrichtsmaterialien zur Familienvielfalt.