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Anwältin der Natur

Anwältin der Natur Ein Artikel der Straßenzeitung zebra.

In Ecuador haben Flüsse und Berge genauso wie Menschen einen Rechtsanspruch. Die ecuadorianische Anwältin und Aktivistin setzt sich für deren Rechte ein und kämpft gegen die Ausbeutung ihrer Heimat, dem Chocó Andino.

Text: Valentina Gianera
Fotos: Anna Mayr

Ein Artikel der Straßenzeitung zebra. vom Dezember 2022


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In Ecuador haben Flüsse und Berge genauso wie Menschen einen Rechtsanspruch. Yuly Tenorio, ecuadorianische Anwältin und Aktivistin, setzt sich für deren Rechte ein und kämpft gegen die Ausbeutung ihrer Heimat, dem Chocó Andino.

“Hier, ich bin die Anwältin”, meldet sich eine dunkelhäutige Frau um die 35, deren Locken bis zu den Hüften reichen.
“Ah, la señorita!”.
Die ecuadorianische Anwältin Yuly Tenorio kennt den Ablauf: Während ihre Kollegen in teuren Autos und in Anzug und Krawatte bei den staatlichen Institutionen vorfahren und ganz selbst verständlich mit “Herr Anwalt” angesprochen werden, muss Yuly Tenorio, Pflichtverteidigerin der kleinen nordecuadorianischen Gemeinde Pacto, erst beweisen, dass sie ein Recht darauf hat, vor Gericht zu erscheinen.
“Lästig, aber ich bin es gewohnt”, meint die 36-jährige Aktivistin und Anwältin bei einem Treffen in der zebra.-Redaktion, der sie im Rahmen einer Sensibilisierungskampagne einen Besuch abstattet. Stärker noch: “Eigentlich ist genau das mein Job: Ich ermögliche jenen Menschen Zugang zur Justiz, denen er verweigert wird.” Verweigert deshalb, weil viele der von Yuly Tenorio vertretenen Personen ihre Rechte kaum kennen; oder weil sie nicht über die nötigen Mittel verfügen, um ihr Recht geltend zu machen.
Dabei werden den Menschen in der von Tenorio vertretenen Gemeinde Pacto - einer von sechs Gemeinden im Biosphärenreservat Chocó Andino - grundlegendste Rechte abgesprochen: “Im Chocó Andino ist der Zugang zu Wasser, Boden, Kulturstätten, körperlicher, psychischer und sexueller Gesundheit heute vielerorts gefährdet”, erklärt die Anwältin. “Bei vielen Frauen mit afrikanischen Wurzeln wie mir kommen noch Rassismus und patriarchale Gewalt dazu, durch die unsere Rechte weiter eingeschränkt werden.” Nicht, weil das immer schon so war. Sondern weil die Folgen von Kolonialismus, fehlenden staatlichen Interventionen und sozialer und territorialer Ausbeutung die einheimische Bevölkerung in eine prekäre Situation drängen.

Territoriale und soziale Ausbeutung
Genau diese - wie Tenorio erklärt - von der Regierung unterstützte Ausbeutung der lokalen Gegebenheiten im Chocó Andino durch multinationale Konzerne ist auch in der zebra.-Redaktion Tenorios erster Gedanke. Noch vor der Begrüßung bemüht sie sich einige Dokumente - Fotos, die ihr Personen vor Ort per WhatsApp geschickt haben, das Kennzeichen eines Lastwagens und andere Beweisstücke - an ihre Vertreter:innen in Ecuador zu mailen: “In Ecuador ist es jetzt drei Uhr morgens”, meint Tenorio. “Aber ich muss sichergehen, dass alle nötigen Dokumente rechtzeitig dort sind”.
Nicht zuletzt deshalb, weil sie in zwei der gerade laufenden Prozesse nicht nur als Anwältin, sondern auch als Angeklagte verwickelt ist: Zusammen mit anderen Aktivist:innen, die gegen die Bergbaukonzerne im Chocó Andino demonstrierten, wurde sie wegen angeblicher Rechtsbrüche - Beschädigung von Eigentum und dem Betreten von unbefugtem Territorium - angeklagt. Für die Anwältin und ihre Mitreisenden ein Ablenkungsmanöver, um Ressourcen von den eigentlichen Prozessen fernzuhalten.
Jenem Prozess zum Beispiel, der die Bergbaukonzerne selbst in die illegale Abtragung von Mineralien am Rio Chirapi verwickelt sieht. Vor rund zwei Jahren, am 20. Dezember 2020, hatten Einwohner:innen des Chocó Andino den kanadischen Konzern “Natural Resources” nämlich dabei erwischt, wie Mineralien aus dem Flussbecken des Rio Chirapi abtransportiert wurden. “Der Konzern hatte aber noch gar keine Genehmigung dafür. Die Tätigkeiten waren also illegal”, so Tenorio.
Die einheimische Bevölkerung hat den LKW, der die Mineralien abtransportierte, daraufhin eigenhändig gestoppt und konfisziert. Seitdem werden die Mineralien rund um die Uhr von sich abwechselnden Personen bewacht. “Die staatlichen Institutionen, allen voran die zu Hilfe gerufene Polizei, wollten sich der Sache nicht annehmen”, so die Anwältin. “Also haben wir diesen gewaltlosen Widerstand organisiert. Am 20. Dezember jährt sich das Ereignis zum zweiten Mal”, meint Tenorio sarkastisch. “Noch hat sich niemand um uns gekümmert, aber wenn wir weiter darauf bestehen, müssen sie uns irgendwann beachten”.

Wachsender Widerstand
Während vor diesem Ereignis im Dezember 2020 immer mehr Menschen im Chocó Andino, einem der artenreichsten Feuchtgebiete der Welt, ihre Grundstücke aus Armutsgründen an internationale Bergbaukonzerne verkauften und so den Mineralienabbau erst möglich machten, schließen sie sich jetzt zum Widerstand zusammen: “Die Menschen haben verstanden, dass der Bodenverkauf zwar kurzfristig Geld einbringt, langfristig aber zu noch mehr Armut führt. Pan para hoy, y hambre para mañana”, meint Tenorio.
Umwelt und Bevölkerung werden bis zur letzten Ressource ausgebeutet; die dadurch entstehenden Einnahmen gehen dabei gar nicht an die einheimische Bevölkerung zurück, sondern fließen an die ecuadorianische Regierung: Während die Grundstücke und somit der Zugang zu den Bodenschätzen im Privatbesitz sind, gehören die darunterlegenden Bodenschätze nämlich dem Staat. Ist der Zugang zu den Bodenschätzen erst veräußert, bleibt der Bevölkerung nichts weiter als die negativen sozialen und ökologischen Folgen des Mineralienabbaus.
“Bevor man vor einigen Jahren mit dem Mineralienabbau im Chocó Andino begonnen hat, ließen wir unsere Haustüren eigentlich immer offen”, erinnert sich Tenorio. Als kleines Mädchen ging sie mit ihren Eltern oft in die Berge, hatte freien Zugang zu Flussbecken und Kulturstätten der Yumba und verschanzte sich mit anderen Kindern im Wald, um Vögel vor den Steinschleudern zu schützen. Als die Mineralölkonzerne vor einigen Jahren mit dem Abbau begannen, habe sich diese Beziehung zwischen den Menschen und ihrer Umwelt aber verändert: “Das feine soziale und ökologische Netz im Chocó Andino ist gerissen. Alkohol- und Drogenabhängigkeit, Diebstähle und Prostitution wurden auf die Tagesordnung gesetzt.”

Niña mimada
Dass Yuly Tenorio heute eine Gefängnisstrafe riskiert, um die Ausbeutung von Mensch und Natur im Chocó Andino zu stoppen, fußt auf ebendiesem sozialen und ökologischen Netz: “Der Chocó Andino, die Gemeinschaft sind mein zu Hause. Ich verdanke ihnen alles, was ich heute bin”, für einen Moment löst sich ihr Blick unter der sonst so entschlossenen Miene. Als Tochter zweier “maestros rurales” - wie Tenorio ihre Eltern bezeichnet - war sie als Kind viel umhergezogen, immer von einer ländlichen Gemeinde in die nächste. “Das Bewusstsein für die Umwelt und soziale Strukturen habe ich mir von ihnen abgeschaut - ich bin eigentlich nichts weiter als das Ergebnis einer ständigen Sensibilisierung”, meint die Anwältin lachend.
Als sie die Möglichkeit bekam, zu studieren, war es für Yuly Tenorio selbstverständlich, dass sie ihre Kenntnisse zurück in den Chocó Andino bringen würde. “Ohne mein Studium wäre ich in Ecuador nichts weiter als eine schwarze Frau. Aber ich habe an einer öffentlichen Universität studiert. Jetzt kann ich der Gemeinschaft etwas zurückgeben, indem ich die Rechtsansprüche von Umwelt und Bevölkerung von der Straße in die Institutionen bringe”, so Tenorio. Dabei bemüht sie sich als gelernte Umwelt- und Menschenrechtsanwältin vor allem um jene Rechtsträger:innen, die vor Gericht kaum Vertretung finden. Die Flüsse, Berge und Seen zum Beispiel, die in Ecuador seit 2008 eigene Rechte besitzen. Aber auch um jene Menschen - häufig Frauen aus dem ländlichen Raum -, die ihre Rechte kaum kennen oder nicht über die nötigen Mittel verfügen, um sie vor Gericht geltend zu machen. “Für mich ist es eine Ehre, dass ich ihre Ansprüche von der Straße in die Institutionen bringen darf”, sagt Tenorio. “Ich fühle mich verwöhnt und unterstützt, wie eine niña mimada.”

Augen aus aller Welt
Während ihr die Aufmerksamkeit in ihrer Gemeinde und im Chocó Andino also sicher ist, kämpft Tenorio auf internationaler Ebene noch für Sichtbarkeit. Einerseits, um die Bevölkerung in Europa für die Ausbeutung des Chocó Andino durch multinationale Konzerne zu sensibilisieren: “Es ist wichtig, dass die Menschen wissen, was in dieser grünen Lunge Ecuadors, einem der artenreichsten Länder der Welt, passiert. So können wir internationale Unterstützung für den Widerstand sichern und neue Einnahmequellen generieren”. Hier nennt die Anwältin einen sanften Tourismus oder fairen Handel von Agrarprodukten, wie Zuckerrüben (Panelas), Schokolade oder Kaffee. Andererseits ist Tenorio aber auch persönlich auf die internationale Sichtbarkeit angewiesen. Die europäische Aufmerksamkeit soll Yuly Tenorio als Schutzschild und der ecuadorianischen Regierung als Warnschild gelten: Die Regierung soll wissen, dass die Aktivistin und Anwältin auf internationaler Ebene scharf beobachtet wird.

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